Mit Staunen und auch Freude stellte Kakashi fest, dass es seinem Schützling gut ging. Er stand auf dem Dach vom Gebäude gegenüber der Bäckerei und beobachtete durch die große Fensterwand, wie Kin mit der Verkäuferin sprach. Den Fuchs sah er neben dem Eingang des Geschäftes sitzen, wo er die Menschen beobachtete, die an ihm vorbei gingen.
Dem Dämon war es nicht entgangen, dass er beobachtet wurde, denn einen kurzen aber gezielten Blick warf er auch auf Kakashi. Kurz hielt sich der Mann seinen Zeigefinger vor den Mund und deutete somit an, das er nicht verraten werden möchte. Der Fuchs machte darauf eine Bewegung, welche nach einem Nicken aussah und schaute wieder in eine andere Richtung.
Es dauerte nicht lang und Kin kam auch schon wieder aus dem Laden. Der Junge schlug den Weg nach Hause ein und Kakashi beeilte sich, damit er schneller da war, als sein Sohn. Jedoch ohne den Jungen zu lang aus den Augen zu lassen. Somit entging ihm auch nicht, wie der Junge kurz halt machte und einen Mann anstarrte. Er konnte Kin ansehen, dass dieser leicht verspannt und nervös war, weshalb Kakashi versuchte einen anderen Blickwinkel zu bekommen.
Der Mann hatte sich vor Kin gehockt und redete mit ihm. Es war Mizuki von der Akademie, ein Kollege von Iruka. Wahrscheinlich kannte Kin den Mann von dort. Kam daher die Nervosität? Er konnte zwar nicht verstehen, worüber die beiden redeten, doch Kurama war wie immer die Ruhe selbst und Kin schien sich wieder entspannt zu haben. Zudem wusste Mizuki ja mit Kindern umzugehen, immerhin war er Lehrer.
„Na, bespitzelst du deinen Sohn?“, flüsterte eine gut bekannte Stimme neben Kakashi und er spürte eine Handfläche, welche wuchtig auf seinem Rücken einschlug.
„Gai, erschreck mich doch nicht so.“, fauchte der Hatake leise und grinste aber darauf. Nun war er sehr froh, dass er heute morgen doch das Stirnband umgebunden hatte und sein Auge verdeckt war. Zuerst hatte er vorgehabt ohne rauszugehen. „Kin kauft zum ersten Mal allein ein und ich war neugierig, wie er sich so macht.“
„Kann ich verstehen. Machen wir nachher einen Wettkampf? Ich habe da schon eine ganz tolle Idee …“, fragte Gai und brabbelte in seiner munteren Art drauf los, doch Kakashi hörte ihm schon gar nicht mehr zu.
„Tut mir Leid, Gai. Ich hab heute schon was mit meinen Sohn vor. Vielleicht ein anderes Mal.“, wimmelte er seinen Rivalen ab und verschwand darauf in die Richtung seiner Wohnung. Kin hatte seinen Weg bereits fortgesetzt, jetzt durfte er nicht nach dem Jungen zu Hause ankommen. Das wäre auffällig. Zum Glück hatte er für den Notfall ein Fenster offen gelassen – und das brauchte er nun auch ganz dringen!
„Na? Auch wieder zu Hause?“, grinste Kin, welcher lässig am Türrahmen lehnte, als Kakashi gerade durch das Fenster in sein Zimmer schlüpfte. Auf dem Gesicht des grinsenden Jungen stand ein überdeutliches ‚Erwischt!‘ geschrieben, während Kakashi schluckte und seinen Sohn völlig entsetzt anstarrte. Verdammt! Das hatte er anders geplant.
„Entspann dich mal wieder, ich bin dir deswegen nicht Böse.“, sprach der Junge darauf und verdreht die Augen. „Ich kann es verstehen, wirklich! Zeitweilig hatte ich auch Angst, vor allem die ersten Minuten über – aber das hatte sich dann schnell gelegt.“, gab er mit einem leicht traurigen Lächeln zu und sprang seinem Vater in die Arme.
Seufzend umarmte Kakashi seinen kleinen Engel und streichelte ihm mit einer Hand über den Rücken. „Du hast mir nen ganz schönen Schrecken eingejagt, als du nicht mehr da warst. Ich musste einfach nachsehen, ob auch alles in Ordnung bei dir ist.“
„Soll ich mich nach dem körperlichen oder nach dem geistigen Alter entsprechend bedanken?“, fragte Kin seinen Vater und grinste bis über beide Ohren.
Im ersten Moment war Kakashi mit dieser Frage überfordert, doch eine Antwort hatte er schnell gefunden: „Das körperliche Alter.“, antwortete er entschlossen und war gespannt, was der Kleinen nun vorhatte.
Ein Kuss auf die Wange und ein „Ich hab dich Lieb, Papa!“ waren das Ergebnis. Mit einem sanften Lächeln wurde er von Kin betrachtet und eine seltsame Kombination aus Freude und Trauer lag in den Augen des Jungen. „Ich finde es toll, dass ich endlich jemanden habe, dem ich nicht egal bin.“, gab der Kleine zu und drückte sich an seinen Papa.
„Ich habe dich schon immer beschützt. Seit ich dich zum ersten Mal auf den Straßen Konohas gesehen habe. Seit ich weiß, wie du behandelt wirst. Nichts und niemand wird mich davon abhalten können, dich zu beschützen.“, sprach Kakashi und beobachtete bei dem Kleinen, wie das Lächeln sich verstärkte. Mit seiner Aussage war er sich mehr als sicher. >>Wenn sogar der gruseliger Blutrausch das nicht geschafft hat, dann wird es auch nichts anderes geben.<<, dachte er sich seufzte innerlich. Ein überlautes Grummeln, welches von Kins Magen zu kommen schien, lenkte ihn darauf von weiteren Gedanken ab. Es wurde wirklich Zeit, dass Kin was zu essen bekam.
Beim Frühstück unterhielten sich Vater und Sohn über allerlei Dinge. Dazu gehörten unter anderem die Einkaufsliste, sowie einige Dinge, die Kin am frühen Morgen aufgefallen waren.
„Wir brauchen dringend was um die Raumtemperaturen im Auge zu behalten.“, meinte Kin während er sein Brötchen mit Nutella beschmierte.
Kakashi notierte sich dies zwar, schien jedoch nicht zu verstehen, wozu sie dies tun sollten. Mal wieder war der Verstand seines Sohnes schneller als sein eigener – und offenbar nahm Kin auch weitaus mehr Details wahr. „Erzählst du mir auch, wie du darauf kommst? Mein Kopf ist wohl noch nicht ganz wach. Oder du denkst einfach schneller als ich.“, fragte er nach und bekam ein kichern von seinem Sohn.
„Ich tendiere da ja mehr zu einer Kombination aus beidem – wobei letzteres bei dir wohl immer zutrifft.“, kommentierte Kin die Aussage seines Vaters und setzte dabei ein schelmisches Grinsen auf. Das „Hey!“ von Kakashi überhörend, antwortete er darauf auch auf die zuvor gestellte Frage: „Wir sind jetzt beide sehr unempfindlich für Kälte und uns würde es nicht stören, wenn wir selbst im tiefsten Winter nackt und bei offenem Fenster durch die Wohnung laufen. Wir würden nicht frieren und würden dementsprechend auch nicht wirklich merken, wie kalt es eigentlich in der Wohnung ist. Andere bemerken es aber sehr wohl. Asuma und Iruka würden sich derzeit sicher den Hintern bei uns abfrieren.“
Dieser Argumentation konnte Kakashi nichts entgegen bringen. Kin hatte mit seiner Beobachtung durchaus recht. Sie mussten verstecken, dass sie anders waren. Es bestand immer die Gefahr, dass spontaner Besuch auftauchen könnte und da durfte ihre Wohnung nicht einer Kühlkammer gleichkommen.
„Bevor ich einkaufen war, musste ich erst mal kurz schauen, was die Leute auf den Straßen überhaupt an Kleidung tragen. Ich wäre fast im Pulli losgelaufen. Gestört hatte mich das nicht, aber dich hätten die Leute sicher dafür ausgeschimpft, weil es unverantwortlich gewesen wäre, ein Kind bei der Kälte draußen nur im Pulli rumlaufen zu lassen.“, erzählte Kin weiter und diesmal hatte der Junge damit einen Punkt bei Kakashi erreicht, wo sich der Mann fragte, wer von den Beiden jetzt eigentlich der Erwachsene ist und wer das Kind. Der Junge machte sich über derart viele Dinge seine Gedanke und schützte sogar noch seine Vater vor unangenehmen Situationen, dass es für Kakashi manchmal den Anschein hatte, er wäre das Kind war und nicht Kin.
Der kleine Dämon schien die Gedanken seines Vaters gelesen zu haben und kicherte erneut vor sich hin. Auf den verwirrten Blick des Erwachsenen erklärte der Junge seine Ansicht dazu: „Aus menschlicher Sicht gesehen bist du für mich verantwortlich und hast für mich zu Sorgen. Du bist mein Vater und ich dein Sohn. Aus dämonischer Sicht ist das anders. Du bist ein Teil des Rudels und als Mensch mit mir – einem Dämonen – verbunden, womit ICH auch für DICH verantwortlich bin. Deine Kälteunempfindlichkeit hast du von mir, womit es so gesehen unter meine Verantwortung fällt.“
Eine Weile unterhielten sie sich noch über die Einkaufsliste und was sie die nächsten Tage an Lebensmittel und andere Kleinigkeiten benötigten. Darauf wandte Kakashi das Gespräch in eine andere Richtung. Er wollte an diesem Tag den Jungen mal richtig kennenzulernen. Auf dem Rückweg nach Konoha hatten sie kaum Gelegenheit dazu gehabt und wenn etwas erzählt wurde, dann betraf es die Zeit wischen Narutos Tod und Kins Blutrausch.
„Ich würde gern von dir wissen, wie du wirklich bist.“, begann Kakashi seinen Versuch einige Informationen zu dem Jungen zu bekommen, welchen er nun als sein Sohn betitelte. „Naruto habe ich – hart ausgedrückt – als untalentierten Dummkopf kennengelernt. Lautes Organ, kann nicht Still sitzen und immer zu am Streiche spielen oder anderweitig am Dummheiten machen. Das passt jedoch nicht zu dem, was ich an dir sehe. Dein jetziger Charakter müsste doch der Gleiche sein, wie der von früher als Naruto. Vor allem jetzt wo du dich wieder erinnern kannst.“
Seufzend lehnte sich Kin zurück dachte einen Moment nach. Er hatte schon geahnt, dass diese Frage irgendwann kam. Spätestens wenn sie Iruka erzählt hatten, dass er sich jetzt erinnern kann. Diesem würde sehr schnell auffallen, dass er gar nicht so dumm war, wie er sich früher immer dargestellt hatte. Aber es ging hier immerhin um sein größtes Geheimnis, wenn er dies erzählen würde, wäre es kein Geheimnis mehr. Allerdings war es auch nicht mehr wirklich SEIN Geheimnis. Es war Narutos Geheimnis und dieser existierte ja nicht mehr. „Das ist eine lange Geschichte.“, meinte er schließlich und betrachtete seinen Vater. Kakashi zeigte deutliche Neugierde, doch er würde ihn nicht zwingen darüber zu reden. Da war sich Kin sicher. „Es handelt sich hierbei um meine Geheimnisse. Darüber habe ich noch nie mit jemanden geredet. Zwar weiß ich nicht, in wie fern Kurama davon etwas mitbekommen hat, er war ja schließlich in mir versiegelt, doch außer ihm weiß wirklich niemand davon.“
Nickend zeigte Kakashi sein Verständnis. Ihm war klar, dass niemand davon wissen konnte. Er war die erste Person, die einen Blick auf den wahren Naruto bekam und das wollte schon etwas heißen. Immerhin hatte der Junge auch Iruka viel Vertrauen geschenkt und offenbar hatte dieser keine Kenntnis über den echten Naruto. „Wir haben Zeit – und wenn du mir etwas nicht erzählen möchtest, dann akzeptiere ich das.“
Nun kam bei Kin wieder der schlaue und hinterlistige Fuchs zum Vorschein. Ein breites schelmisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und man konnte ihm deutlich ansehen, dass er etwas ausheckte. „Wenn ich dir von meinen Geheimnissen erzähle, dann musst du mir aber auch ein paar Fragen beantworten.“, kam es nach kurzer Zeit von dem kichernden Jungen, was Kakashi ein seufzen entlockte.
>>War irgendwie klar!<<, dachte sich der Ältere und ihm graute es jetzt schon davor, was für Fragen da alles kommen konnten. Doch war ihm dies egal. Er wollte seinen Sohn kennenlernen und dieser hatte das gleiche Recht, wenn er seinen Vater besser kennenlernen wollte. „Abgemacht!“, stimmte Kakashi zu und erhob sich von seinem Stuhl. Sie waren mit ihrem Frühstück bereits fertig und er begann den Tisch abzuräumen. „Wir reden gleich im Wohnzimmer, dass ist gemütlicher.“, meinte der Ältere darauf und stellte dabei die Teller in die Spüle. Abwasche würde er später, es gab jetzt wichtigeres. Kin hatte sich Wurst und Käse geschnappt und ihn in den Kühlschrank gelegt. Kurz darauf war er mit seiner Teetasse im Wohnzimmer verschwunden.
Nachdenklich saß Kin auf dem Sofa und kraulte den Fuchs hinter den Ohren. Er würde Kakashi von sich erzählen, doch wo sollte er anfangen? Es gab da einiges, was niemand über ihn wusste. Fast niemand! Eine Person gab es da schon, nur lebte diese nicht mehr. Ob er vielleicht damit anfangen sollte? Das Sitzpolster senkte sich etwas und ein Arm legte sich um ihn. Kakashi war nun auch anwesend, dann konnte er ja anfangen.
„Ich war nicht immer allein“, erzählte Kin traurig und lehnte sich bei seinem Vater an. „Es gab eine Zeit, da war jemand bei mir. Sein Name war Taki und ich durfte ihn immer Opa nennen. Er lebte auf der Straße und hielt sich viel in der Gegend auf, wo ich früher gewohnt habe. Nach einer Weile hat er sich dann in der Wohnung neben meiner eingenistet. Ihm war es egal, dass ich als Monster galt und er hielt sich auch nicht von mir fern. Er war der einzige der sich damals um mich gekümmert hat und wusste viel über mich, was alle anderen nicht interessiert hatte. Er hat auch gemerkt, dass ich recht schlau bin und mir viel beigebracht.“
Kin hatte aufgehört zu reden und starrte Löcher in die Luft. Kakashi bemerkte, dass dem Jungen einige Tränen über die Wangen kullerte. Er konnte sich auch noch an den Mann erinnern. Einige wenige Male hatte er diesen mit Naruto gesehen gehabt, doch das war schon viele Jahre her. Die Bindung zwischen ihnen war offenbar enger gewesen, als er damals angenommen hatte. „Was ist passiert?“, fragte Kakashi vorsichtig nach und begann damit, seinem Sohn zu streicheln.
„Er ist gestorben.“, flüsterte der Junge und schniefte darauf einige Male. Weitere Tränen suchten sich einen Weg über seine Wangen und tropften schließlich auf Kakashis Shirt. „Damals, nach meinem fünften Geburtstag. Es war an Halloween.“, fügte Kin nach kurzer Zeit hinzu und schniefte erneut. Beiden Vätern war sofort klar, das Kins Abneigung zu Halloween mit Takis Tod zusammen hängen musste, doch was war damals passiert?
Kakashi wollte schon fragen, doch da begann Kin von allein zu erzählen: „Ich hab mich damals in unserem Tempel versteckt. Da hatte ich schon die Jahre zuvor diese Nacht verbracht. Am Abend von Halloween kam niemand zum Tempel und ich hatte meine Ruhe. Taki wusste, wo ich mich aufhalte und verstand mich. In diesem Jahr kamen jedoch einige der älteren Kinder auf die Idee, dass sie eine Mutprobe machen wollten und hatte sich die Erlaubnis geholt, dafür auf das Tempelgelände zu gehen. In den Tempel selbst durften sie nicht, daher wurde dieser Abgeschlossen und ich saß darin fest. Die Mutproben waren ganz schön fies und sie haben mir damit ganz schön angst gemacht, obwohl ich nicht mal direkt in der Nähe war oder zusehen konnte. Deswegen mag ich auch das ganze Geister und Gruselzeug nicht so, aber darum geht es jetzt nicht. Irgendetwas ging schließlich bei ihnen schief und plötzlich rannten sie alle kreischend weg. Minuten später stand der ganze Tempel in Flammen und ich konnte nicht raus. Taki hat mich damals gerettet und ist dabei gestorben.“ Die letzten beiden Sätze brachte Kin nur mit viel Mühe heraus. Anschließend war er so fertig, dass er sich völlig hemmungslos bei Kakashi ausweinte.
Sämtliche Gefühle von damals waren wieder in ihm hochgekommen. Nicht nur Takis Tod und die Trauer um seinen einzigen Freund hatten ihn erneut übermannt. Auch die Angst war wieder in ihm hochgekommen. An diesem Tag hatte er zum ersten Mal Todesängste verspürt. Das war für den damals 5jährigen eine ganz neue Erfahrung gewesen.